Es ist nicht leicht, aus den Hunderten von unveröffentlichten Briefen Don Boscos, die wir in den letzten Jahrzehnten wiedergefunden haben, diejenigen auszuwählen, die es am meisten verdienen, vorgestellt und kommentiert zu werden. Diesmal nehmen wir einen sehr einfachen Brief, der aber in wenigen Zeilen ein ganzes Projekt der salesianischen Bildungsarbeit zusammenfasst und uns viele weitere interessante Fakten bietet. Er wurde am 7. Mai 1877 an einen gewissen Daniele Garbari aus dem Trentino geschrieben, der ihn im Namen von zwei Brüdern wiederholt gefragt hatte, wie er in seinem Land ein Bildungsinstitut gründen könne, wie es Don Bosco in ganz Italien, Frankreich und Argentinien gegründet hatte.
Lieber Herr Garbari,
Meine Abwesenheit von Turin war der Grund für die Verzögerung bei der Beantwortung Ihrer Briefe, die ich regelmäßig erhalten habe. Ich freue mich sehr, dass unsere Einrichtung in Ihren Dörfern gut aufgenommen wird. Je mehr sie bekannt ist, desto mehr wird sie auch bei den Regierungen selbst Anklang finden. Ob es uns nun gefällt oder nicht, sprechen die Tatsachen dafür, dass wir gefährdeten Jugendlichen helfen müssen, um sie zu guten Bürgern zu machen oder sie in Unehre im Gefängnis zu halten.
Um ein ähnliches Institut in der Stadt oder den Dörfern von Trent einzurichten, braucht es nicht viel:
1° Ein Raum, der eine bestimmte Anzahl von Kindern aufnehmen kann, in dem sich aber auch die entsprechenden Werkstätten oder Laboratorien befinden.
2° Etwas, das dem Direktor und den anderen Leuten, die ihn bei der Betreuung und Leitung unterstützen, ein wenig Brot geben kann.
Die Jungen werden unterstützt:
1° von der kleinen monatlichen Rente, die einige von ihnen zahlen können, oder es wird von den Verwandten oder anderen Menschen, die sie empfehlen, bezahlt.
2° von dem geringen Einkommen, das die Arbeit einbringt.
3° durch Zuschüsse von Gemeinden, der Regierung, Wohlfahrtsverbänden und Spenden von Privatpersonen. So werden alle unsere Handwerkerhäuser geführt, und mit Gottes Hilfe haben wir gute Fortschritte gemacht. Allerdings müssen wir davon ausgehen, dass uns alles, was mit Politik zu tun hat, immer fremd war und sein wird.
Unser übergeordnetes Ziel ist es, gefährdete Kinder zu sammeln, um sie zu guten Christen und ehrlichen Bürgern zu machen. Das ist das Erste, was den zivilen und staatlichen Behörden klar gemacht werden muss.
Als Priester muss ich dann voll und ganz mit der kirchlichen Behörde übereinstimmen. Wenn es also darum geht, die Angelegenheit zu konkretisieren, würde ich direkt an den Erzbischof von Trient schreiben, der sicher keinen Widerstand leisten wird.
Hier ist mein erster Gedanke. Wenn das ganze Verfahren weitergeht und mehr benötigt wird, werde ich schreiben. Bitte bedanken Sie sich in meinem Namen bei all den Menschen, die mir Freundlichkeit entgegenbringen.
Ich wollte das selbst in meiner eigenen hässlichen Handschrift schreiben, aber ich werde den Stift an meinen Sekretär weitergeben, damit das Schreiben leichter zu lesen ist.
Bitte glauben Sie mir, dass ich die größte Wertschätzung und Dankbarkeit empfinde, mit der ich die Ehre habe, mich zu Ihrem hochverehrten Herrn zu bekennen.
Demütiger Diener Pat. Gio. Bosco Turin, 7. Mai 1877
Ein positives Bild der salesianischen Arbeit
Zunächst informiert uns der Brief darüber, wie Don Bosco nach der päpstlichen Anerkennung der Salesianischen Kongregation (1874), der Eröffnung des ersten Salesianerhauses in Frankreich (1875) und der ersten missionarischen Expedition nach Lateinamerika (1875) immer damit beschäftigt war, seine bereits bestehenden Werke zu besuchen und zu unterstützen und die vielen, die ihm in jenen Jahren von überall her vorgeschlagen wurden, anzunehmen oder nicht. Zur Zeit des Briefes hatte er den Gedanken, die ersten Häuser der Töchter Mariä Hilfe der Christen neben dem von Mornese zu eröffnen – ganze sechs in den zwei Jahren von 1876 bis 1877 – und vor allem war er daran interessiert, sich in Rom niederzulassen, wo er seit mehr als 10 Jahren vergeblich versucht hatte, einen Sitz zu bekommen. Daraus wurde nichts. Ein anderer echter Piemontese wie Don Bosco, ein „Priester der Bewegung“ wie er, war an den Ufern des Tibers, in der Hauptstadt Rom, die bereits voll von unsichtbaren Piemontesen war, von bestimmten päpstlichen Behörden und von bestimmten römischen Geistlichen nicht willkommen. Drei Jahre lang musste er sich mit der römischen „Peripherie“ begnügen, d. h. den Castelli Romani und Magliano Sabino.
Paradoxerweise geschah das Gegenteil mit den Stadtverwaltungen und denselben Regierungsbehörden des Königreichs Italien, wo Don Bosco, wenn nicht Freunde – ihre Vorstellungen lagen zu weit auseinander – so doch zumindest große Bewunderer zählte. Und das aus einem ganz einfachen Grund, an dem jede Regierung interessiert war: das neugeborene Land Italien mit ehrlichen, hart arbeitenden, gesetzestreuen Bürgern zu regieren, anstatt die Gefängnisse mit vagabundierenden „Kriminellen“ zu bevölkern, die nicht in der Lage waren, sich und ihre Familien mit einer eigenen anständigen Arbeit zu versorgen. Drei Jahrzehnte später, im Jahr 1900, würde der berühmte jüdische Anthropologe und Kriminologe Cesare Lombroso Don Bosco seine volle Anerkennung zollen, als er schrieb: „Die salesianischen Institute stellen eine riesige und genial organisierte Anstrengung zur Verbrechensverhütung dar – die einzige, die tatsächlich in Italien unternommen wurde“. Wie aus dem besagten Brief hervorgeht, war das Bild der salesianischen Werke, in denen Jungen ohne Parteinahme für die verschiedenen politischen Parteien zu „guten Christen und ehrlichen Bürgern“ erzogen wurden, ein positives, und das sogar in Österreich-Ungarn, zu dem Trentino und Julisch Venetien damals gehörten.
Ein typisches Salesianerhaus
Im weiteren Verlauf des Briefes stellte Don Bosco die Struktur eines Erziehungshauses vor: Räume, in denen die Jungen untergebracht werden konnten (und er deutete mindestens fünf Dinge an: Hof zum Spielen, Klassenräume zum Lernen, Refektorium zum Essen, Schlafsaal zum Schlafen, Kirche zum Beten) und „Werkstätten oder Laboratorien“, in denen ein Handwerk gelehrt werden konnte, mit dem die Jungen leben und eine Zukunft haben konnten, wenn sie das Institut verließen. Was die wirtschaftlichen Ressourcen betraf, nannte er drei Einnahmequellen: die monatlichen Mindestrenten, die die Eltern und Verwandten der Jungen zahlen konnten, das kleine Einkommen aus den Handwerksbetrieben, Zuschüsse von öffentlichen Wohltätigkeitsorganisationen (Regierung, Gemeinden) und vor allem private Wohltätigkeit. Das war genau die Erfahrung von Valdocco. Aber Don Bosco verschwieg hier eine wichtige Sache: die volle Hingabe an den Bildungsauftrag vonseiten des Direktors und seiner engen Mitarbeiter, Priester und Laien, die für den Preis eines Stücks Brot und eines Bettes 24 Stunden am Tag arbeiteten, beteten, unterrichteten und halfen. So wurde es zumindest in den Salesianerhäusern jener Zeit gehandhabt, die sowohl von den zivilen als auch von den kirchlichen Behörden, allen voran den Bischöfen, sehr geschätzt wurden. Ohne deren Zustimmung war es offensichtlich nicht möglich, ein Haus wie das der Salesianer zu gründen, das „durch Evangelisierung erzieht und durch Erziehung evangelisiert“.
Das Ergebnis
Wir wissen nicht, ob es eine Folgemaßnahme zu diesem Brief gab. Das Projekt der salesianischen Stiftung von Herrn Garbari kam jedenfalls nicht zustande. Genauso wie Dutzende anderer Stiftungsvorschläge. Aber es ist historisch gesichert, dass viele andere Gründer, Priester und Laien, in ganz Italien von Don Boscos Erfahrungen inspiriert wurden und ähnliche Werke gründeten, inspiriert von seinem Erziehungsmodell und seinem Präventionssystem.
Garbari musste jedoch zufrieden sein: Don Bosco hatte eine Strategie vorgeschlagen, die in Turin und anderswo funktionierte … und dann hielt er sein Autogramm in den Händen, das, so schwer es auch zu „entziffern“ war, immer noch das eines Heiligen war. So sehr, dass er es eifersüchtig bewahrte und es heute im Zentralarchiv der Salesianer in Rom aufbewahrt wird.
Ein großer Heiliger, ein großer Manager
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